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Auszug aus:

Hans Dieter Baroth

Aber es waren schöne Zeiten

Roman, Köln 1978

Der Rektor Die meisten Menschen, die ich kannte, waren Taufscheinkatholiken. Nach dem Ende der tausend Jahre schlitterten wir in den Katholizismus. Er kam durch eine Schule, die katholisch war, durch Lehrer, die katholisch waren, durch den Pfarrer, der die Schule samt Lehrer beherrschte.

Unser Pfarrer hatte den Titel eines Rektors. Der Rektor war ein Herrscher. Ein wuchtiger Mann, schwarzhaarig, mit einer ungewöhnlich männlichen Stimme. Er hatte einige Goldzähne, allein die zeichneten ihn schon aus, denn Goldzähne hatte sonst niemand.

Der Rektor war eine Autorität mit der Strenge eines Herrschers und der Unnahbarkeit einer hochgestellten Person. Es war ein Mann, der im Pfarrhaus ein betont anderes Leben lebte als seine sogenannten Pfarrkinder, denn privat verkehrte er fast nur mit Geschäftsleuten, die bekanntlich anders lebten als die Arbeiter.

Er war kein Vertreter der Güte und der Liebe seines Gottes, er war ein Vertreter der Strenge und der Strafe. Sowohl Schulkinder als auch Meßdiener wurden von ihm vor versammelter Mannschaft geohrfeigt, unser Rektor kam nicht in einem Raum, er erschien.

Er war unnahbar, gewaltig und streng. Von den guten und den strengen Engeln unterschied er sich wie der Richter vom Scharfrichter.

Wenn der Rektor auf der Kanzel stand, dann trennten ihn nicht nur die wenigen Meter von den Gläubigen, er stand wie ein Herrscher darüber, aber nicht nur weil die Kanzel höher war. Seine Lieblingsgeste bei der Predigt war der erhobene Zeigefinger, die drohende Mahnung.

Er kontrollierte gern. Während der Messe konzentrierte er sich auf die Gläubigen hinter sich. Drehte er sich zu einem Gebet um in Richtung Kirchenschiff, kniff er seine Augen zusammen, um genau zu sehen, wer von seinen sogenannten Schafen in der Kirche war. Wenn er die Kanzel betreten hatte, dann musterte er genau die Versammlung, auch während seiner drohenden Ausführungen ließ er sie nicht aus den Augen. Der Rektor wählte für die verlesenen Kapitel aus der Bibel Gleichnisse, damit wir sie auch kapierten. Ein Gleichnis habe ich nicht vergessen. Er hatte aus der Bibel über die Probleme des Zweifels am Glauben gelesen. Natürlich hatte das niemand verstanden, bei unserer Ausdrucksarmut verständlich. Der Rektor, der Schwarzhaarige mit den Goldzähnen und der Drohgebärde, der Mann mit der gewaltigen Stimme, machte uns klar, wie es mit dem Zweifel bestellt sei.

Vor der Kirche war an dem Sonntag eine Kirmes aufgebaut. Also kam in seinem Gleichnis eine Kirmes vor. Der Herrscher, der König also, befahl, ein Glas Wasser randvoll über die Kirmes zu tragen und keinen Tropfen zu vergießen. Herrscher und König waren seine Lieblingsbeispiele. Der Knabe aber widersprach dem König und Herrscher, es sei Kirmes und da werde er abgelenkt durch die Buden und Lustbarkeiten. Dabei könne er sich nicht auf das Glas Wasser konzentrieren, er könne den Auftrag nicht erfüllen. Da sei der König und Herrscher streng geworden, so der Rektor, er habe gesagt, wenn er auch nur einen Tropfen des vollen Glases verschütte, so lasse der König und Herrscher ihm den Kopf abschlagen. Und der König und Herrscher sei für seine Strenge bekannt. Daraufhin habe sich der Knabe mit dem vollen Glas Wasser über den Kirmesplatz bewegt und dort hätten viele versucht, ihn abzulenken. Die Gaukler, die Glücksspieler und ähnliche Figuren des Vergnügens. Doch der Knabe habe sich nicht ablenken lassen, er habe auf sein Glas geschaut, ganz konsequent. Er habe weder nach rechts noch nach links geschaut. Er sei ganz konzentriert gewesen.

Seht ihr, so hat der Rektor argumentiert, so sei es auch mit dem Glauben: Gott der Herrscher sei streng und hart, er sei der Richter. Scharfrichter hat er nicht gesagt. Wer sich von seinem Glauben ablenken lasse, der verliere das ewige Glück, wie der Knabe seinen Kopf verloren hätte. Und dann hatte er mit theatralisch erhobener Hand wiederum gedroht: “So sei euer Glaube, laßt euch davon nicht abbringen, denkt an den Knaben, schaut unbeirrt auf euren katholischen Glauben und schaut nicht nach rechts oder links. Laßt euch nicht von den Verführern ablenken, denn am Ende steht die ganze Strenge des Herrn.” Die Orgel spielte, Punktum, die Predigt des Kindergottesdienstes war beendet.

Der Rektor wurde von uns gemieden. Wir versuchten seinem Beichtstuhl zu entkommen und gingen, wenn möglich, zum Kaplan. Falls man seinem Beichtstuhl nicht entkommen konnte, so hatte man während der Beichte keine Reue, sondern Angst. Aus lauter Angst hatte man dann Sünden erfunden. Hätte man die Wahrheit gesagt, so hätte er nach Sünden gebohrt. Mit absoluter Sicherheit fragte er nach der Unkeuschheit. Wie nach einem Katalog fragte er ab: Unkeuschheit allein, zu zweit oder zu mehreren? Wir mußten stets passen. Unkeuschheit allein? Wie denn? Das mußte man verneinen und wußte gar nicht, was er eigentlich meinte. Unkeuschheit zu zweit? Das konnte man sich schon ausmalen, aber da war nichts. Unkeuschheit zu mehreren, wie den das? Man traute sich nicht zurückzufragen und verneinte die Fragen nach der Unkeuschheit recht kleinlaut.

...

Wenn die Meßdiener nicht hin und wieder Ausflüge oder Zeltlager gemacht hätten, wäre der freiwillige Dienst für die Kirche recht uninteressant gewesen. Vom Rektor hätte man nur stets was über den Kopf bekommen. Der jeweilige Kaplan glich das ein wenig aus.

Die katholischen Beerdigungen waren eine willkommene Abwechslung. Da machte man gern mit, weil es während der Beerdigung schulfrei gab. War man von der Kirche für eine Beerdigung eingeteilt, mußte einem der Lehrer für die Zeit frei geben. Wahrscheinlich hätte der Lehrer es verhindern können, doch keiner traute sich, der Rektor war der beherrschende Mann der Schule.

Beerdigungen mit ihm waren weniger angenehm. Er redete nicht mit uns. Die Kapläne unterhielten sich mit uns schon. Er schaffte durch sein Verhalten eine Beerdigungsstimmung. In der Sakristei sprach er kein Wort, ging es dann zum Friedhof, dann sagte er kurz “los”, und es ging los. Seine Predigten am Grab waren unpersönlich. Ging er mit uns nach der Beerdigung zurück, so redete er kaum mit uns. Er fragte höchstens nach privaten Dingen, denn neugierig war er. Fast jeder Ministrant war, wenn er angesprochen wurde, überrascht, daß der Rektor ihn überhaupt mit Namen kannte. Noch überraschter war man, wenn er gezielte private Fragen stellte.

Lieber machte er Trauungen.

Denn der Rektor liebte Gepränge und Weihrauch. Er mag auch seine mächtige Stimme geliebt haben, die er selbst gegen ein vollbesetztes Kirchenschiff noch durchsetzen konnte. Sicherlich mag sein Lieblingslied “Großer Gott wir loben Dich” gewesen sein, denn dann konnte er aus vollen Lungen gegen die Gemeinde und die Orgel singen. Daß er den Wein mehr mochte als das Wasser, das habe ich bei unzähligen Messen als Ministrant erlebt. Diente ich bei einer Messe, die er las, so konnte ich erleben, daß er das Wasser fast so scheute wie der Teufel das Weihwasser. Mit einem Kännchen voll Wasser und einem Kännchen voll Meßwein waren wir pro Messe ausgerüstet. Zunächst wurde der Wein in den Kelch gefüllt, den er uns, dem Ritual entsprechend, hinhielt. Wenn das Wasser folgen sollte, dann gab er einen brummenden Ton von sich, wie ein gereizter Hund etwa. Während dieses knurrenden Lautes machte er eine Andeutung, als zöge er seinen Meßkelch unwirsch zurück. Er konnte ihn aber nicht zurückziehen, weil sonst vielleicht das Wasser auf den Boden gelaufen wäre, und das hätte die aufmerksame Gemeinde hinter ihm mitbekommen. Wir hatten eingepaukt bekommen, daß Wasser mit Wein vermengt würde und machten jeden Morgen den Versuch, Wasser in den Kelch zu bekommen. Knurrend verhinderte er es Messe für Messe.

Daß er eine Arbeiterfamilie besucht hätte, das habe ich nie erlebt. Gelegentlich kam er an den Nachmittagen unsere Straße herunter, um am unteren Ende der Straße eine der beiden katholischen Kaufmannsfamilien zu besuchen. Er mag auch mal die strengen Katholiken im ersten Haus der Straße besucht haben, ich erinnere mich daran aber nicht. Wenn er die Straße entlang kam, so konnten wir ihn schon oben am Ende erkennen, denn die Straße war verhältnismäßig lang und schnurgerade gebaut. Es war eigenartig, wenn er kam, dann suchten wir immer den Eindruck zu erwecken, wir hätten hinter dem Haus plötzlich einen Spielplatz gefunden. In wenigen Augenblicken gab es keine Kinder mehr, die auf der Straße spielten. Der Rektor ging dann durch eine ganz verlassene Bergmannstraße. Ob er es genoß, das weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob er wußte, daß er im Grunde Angst und Beklommenheit auslöste, ob er sich gefiel in der Rolle, schon auf Erden sehr hoch über den Menschen zu stehen. Der Rektor trug einen großen schwarzen Hut und einen langen schwarzen Mantel. Dieses Priesterschwarz hob sich von dem verschlissenen Grau der meisten Bekleidungen elegant ab. Sicherlich war die Soutane sein liebstes Kleidungsstück.

...

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