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Auszug aus:

Hans Dieter Baroth

Des deutschen Fußballs wilde Jahre

Sachbuch, Essen 1991

1903

Spielerfrauen spannen die Torlatte

An einem warmen Tag, es ist der 3. März 1903, gründen begeisterte Sportler in der Seidenweberstadt Bielefeld einen Verein, den sie, wohl wegen der Nähe zum Teutoburger Wald, Cheruskia nennen. “Rasensport wollen wir treiben” – so die Losung. Weil aber der Fußball in der biederen Bevölkerung nicht gern gesehen ist, flüchten die Sportler sonntags zu Übungen mit dem runden Leder in den Wald. Das Spielfeld richten die Aktiven der Cheruskia notdürftig zurecht. Dabei sind die Frauen der Kicker im doppelten Sinne des Wortes “eingespannt”: Die Torpfosten bestehen aus einfachen Stangen, die “Torlatte” ist eine Wäscheleine, die von den Frauen gespannt und dann gehalten wird.

Am 8. März 1903 wird in der Gemeinde Castrop das erste Fußballspiel in der Geschichte des Ortes ausgetragen. Die Männer des ein Jahr zuvor gegründeten Castroper Fußball-Club haben rein zufällig erfahren, daß es im nahen Dortmund den DSC 95 gibt. Dessen Elf tritt in Castrop an und schlägt die Einheimischen 1:4. Entgegen der sonstigen Praxis melden sich Tage nach dem ersten Fight Funktionäre des Rheinisch-Westfälischen Spielverbandes und werben bei den Castroper Kickern für den Eintritt in ihre Vereinigung. Der Hintergrund dieses nicht gerade üblichen Schrittes: Der Fußball ist in Westfalen noch völlig unterentwickelt, die Organisation hat kaum eine Basis. So wird Castrop 02 schon nach einem Spiel Mitglied des Rheinisch–Westfälischen Spielverbandes.

Die vier Wilden

In Düsseldorf gibt es vier wilde Vereine. Sie sind weder in einem Vereinsregister vermerkt noch beim Verband gemeldet. Einer nennt sich Kolvenbach-Club, weil deren Mitglieder einen Kapitän mit diesem Namen haben. Der andere, wenige Straßenzüge weiter, trägt den wohlklingenden Titel Avanti. Der dritte nennt sich Knappsäck und der vierte nach dem Stadtteil Oberbilk Oberbilker. Da die Mitglieder dieser Vereine fast zeitgleich Schillers “Wilhelm Tell” lesen, kommen sie zu der Einsicht, vereint seien sie mächtiger. Die vier Klubs fusionieren und geben sich den programmatischen Namen “Vorwärts”.

Über den Düsseldorfer Fußball im Stadtteil Oberbilk schreibt Augenzeuge Bernhard Klinke: “Natürlich spielten wir auch im Sportdreß. Kleidung: weißes Hemd (das besaß ja jeder), eine alte abgeschnittene dunkle Hose mit Gürtel, schwarze Strümpfe, die unter dem Knie umgeschlagen wurden, und alte Zivilschuhe, die sogar mit Lederstreifen beschlagen waren. Vermögende Spieler hatten natürlich eine richtige Kluft. In unserer Mannschaft hatten wir einige Spieler, denen das Teufelsspiel von Hause aus verboten war. Ich gehörte auch zu diesen wenig Beneidenswerten. Aber wir wußten uns zu helfen. Im Laufe der Woche sorgten wir dafür, daß wir unsere Brocken heimlich aus dem Wäscheschrank stibitzten. Diese wurden dann einem Spieler in Verwahr gegeben. Sonntags nach der Andacht ging es dann im Laufschritt nach dem Platze, wo wir uns dann in weinigen Minuten in einen richtigen Fußballspieler verwandelten. Einen Sportplatz hatten wir auch, aber die Tore fehlten, denn es mangelte dafür an Geld. Aber auch diese Kalamität war bald behoben. Wir hielten Umschau in Neubauten und fanden dort das Nötige: Torpfosten und Querlatten, die für unsere Zwecke paßten. Diese wurden dann zurechtgezimmert, angestrichen und in einem Garten aufbewahrt. Vor dem Wettspiel wurden sie zum Platz geschleppt und dort aufgebaut, um nachher wieder abgerissen zu werden.”

Im Saarland macht der Ball den größten Kummer

Saarbrücken ist zu dieser Zeit noch eine Diaspora des Fußballs. Im Stadtteil Malstatt treten schon mal einige Schüler gegen einen Ball. Turnlehrer Poller aus Malstatt erkennt, daß die Bekämpfung der neuen Sportart nur den Widerstand der Jugendlichen mobilisieren würde. So erhält aufgrund seiner Fürsprache der Turnverein Malstatt in Saarbrücken eine eigenständige Fußballabteilung – es ist die Geburtsstunde des späteren 1. FC Saarbrücken. Entwicklungshelfer an der Saar ist der in Saarbrücken arbeitende Hamburger Ehlers, der die Regeln schon kennt und die Malstatter in die Kunst des Spiels einführt. Gekickt wird auf dem Markt oder dem Exerzierplatz der Armee. Bereits im Mai 1903 hat der spätere 1. FC Saarbrücken zwei Mannschaften, einen Trainer, aber noch keine Gegner. Die erste Elf kickt gegen die zweite. Ein Augenzeuge: “Eine Partei, wie die Mannschaft damals genannt wurde, trug blauweiße und die andere rotweiße, geringelte Trikots. Die horizontalen Streifen waren etwa 2 cm breit. Diese Art der Aufmachung erregte bei den im Punkte Kleidung streng konservativen Turnern schweres Mißfallen. Im Vorstand wurden Stimmen laut gegen die dem runden Ball Nachrennenden, und einer behauptete, wir würden herumspringen wie die Ziegelbrennerbuben.”

Gegen welche Widerstände sich der Fußballsport an der Saar durchsetzen muß, zeigt folgendes Beispiel: Als ein Malstatter Kicker beim Gauturnfest zum 100-Metersprint in seiner Fußballhose startet, wird er disqualifiziert.

Der Siegeszug der Kickerzunft war durch solche Diskriminierungen jedoch nicht aufzuhalten. Ein Augenzeugenbericht über den Saarbrücker Fußball vermeldet: “Nachdem die Leidenschaft des Fußballspielens von uns Besitz ergriffen hatte, wurde jeden Sonntagmorgen von 8 Uhr ab geübt. Manchmal mit zwei kompletten Mannschaften, dann wieder mit je 8 oder 9 Mann, und wenn das Wetter allzu schlecht war, nur gegen ein Tor. Allmählich wurde dann doch aus dem Gebummse und Geklobe ein gesittetes Spiel und man lernte, daß man unter Mithilfe seiner Nebenmänner besser zum Ziele kam. Den größten Kummer machte uns der Ball. Durch den Stacheldraht, der den Schulplatz umsäumte, wurde derselbe immer schwer mitgenommen. Ein Ball kostete in dieser Zeit viel Geld und unser kärgliches Taschengeld brauchten wir für andere Zwecke. Der Turnverein war der Meinung, so ein Fußball müßte so lange halten wie ein Faustball.”

Prinz Heinrich tobt an der Seitenlinie

Der KFC 1899 in der Domstadt Köln veranstaltet am 20. Mai 1903 ein internationales Sportfest mit Fußball und Leichtathletik an den Ufern des sauberen blauen Rheins. Zum erstenmal in der nun vierjährigen Klubgeschichte starten die bisher in den Farben von Aston Villa hell- und dunkelblau gewandeten Cracks in Rotweiß. In diesen neuen Kluften werden die elf Burschen des KFC 1899 Köln erster Westdeutscher Meister.

Ortsrivale Borussia Köln spielt in Bonn gegen eine Mannschaft der dortigen Studentenvertretung mit dem Namen Borussia. In ihren Reihen steht der deutsche Kronprinz Wilhelm. An der Seitenauslinie feuert einer fanatisch die Kölner Kicker an – es ist Prinz Heinrich. Er möchte, daß die Domstädter der Mannschaft mit dem Kronprinzen kräftig Zunder geben.

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