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Auszug aus:

Hans Dieter Baroth

Das Gras wuchs ja umsonst

Sachbuch, Köln 1983

In diesem Sachbuch werden die Lebensläufe von drei Männern und einer Frau aus dem Ruhrgebiet geschildert. Einer von ihnen ist Heinrich Peters, der anschaulich über die Nachkriegszeit erzählte:

“Am 14. Juni 1945 fuhr ich dann wieder zurück nach Duisburg, aber nicht mehr mit dem Fahrrad, mit einem Pferd und einem Wagen; die gesamte Tour dauerte mehr als vier Wochen. Das Pferd habe ich getauscht oder gekauft, das läßt sich nicht so einfach beschreiben. Es stammte von einem Mann aus Schlesien, der mit dem Gaul geflüchtet war. Er hatte ihn bei einem Bauern untergestellt, der konnte das Pferd benutzen, mußte es aber füttern. Das konnte er dann eines Tages auch nicht mehr. Ich habe dann mein neues Fahrrad, meine Uhr, einen schönen blauen Arbeitsanzug hergegeben und noch zehn oder zwanzig Mark. Und der Milchhändler hatte einen Wagen da stehen, den er nicht mehr brauchte. Der hatte nicht einmal eine Patentachse, da gab es noch Splinte an den Rädern, die mußten alle paar Tage geschmiert werden. Den Wagen hatte er mir so gegeben. Die Frau und den Jungen drauf, Bettzeug, einen Sack Hafer, so ging es ab in Richtung Duisburg.

So sind wir dann durch die Landschaft gezockelt, haben bei den Bauern gebettelt, ob wir im Heu übernachten könnten und den Gaul mal abstellen könnten, haben mühsam die Flüsse überquert, denn es gab ja keine Brücken mehr, meist gab es Notübergänge, das waren Planken, die über Boote gelegt waren. Der Gaul ist dann einige Male gefallen, der hatte sich wundgescheuert, der wollte nach einiger Zeit einfach nicht mehr. Er hatte dann ausgeschlagen und die Schere durchbrochen. Mitten in einem Wald, weit und breit kein Mensch. Ich habe dann die Schere auf meine Schultern geladen und bin damit ins nächste Dorf gezogen. Das Kind und die Frau mußten zurückbleiben. So quälten wir uns mit dem wundgescheuerten Gaul weiter, bis wir in ein weiteres Dorf kamen. Einer Frau klagte ich mein Leid. Sie sagte, sie könne uns nicht helfen, sie sei mit einem blinden 85jährigen Vater allein und habe einen Wagen voll Heu in der Scheune. Wenn wir helfen würden, bekämen wir ein Mittagessen und am Nachmittag eine Tasse Kaffee. Wir haben geholfen. Da sagte die Frau dann, einige Häuser weiter wollten Nachbarn ein Pferd verkaufen oder tauschen, ihres sei ihnen zu schwer, das würde nämlich nur die Milch zur Molkerei ziehen. Das war so ein kräftiger, voller, ruhiger Belgier, ein Kaltblut. Wir sind uns einig geworden, er bekam meinen Zossen, ich seinen – aber die Sache hatte einen Haken: Auf dem einen Auge konnte der Gaul nicht sehen, auf dem anderen war er völlig blind. Aber ich hatte ja Augen, so war ich trotzdem zufrieden. Im nächsten Dorf wollten wir Quartier machen, ich bettelte für Frau, Kind und Gaul, ob wir nicht übernachten könnten und das Pferd auf die Weide dürfte. Da sagte einer, der Belgier gehört Ihnen aber nicht, der stammt aus dem Nachbardorf. Ich zeigte ihm den Zettel des Bauern, auf dem stand, daß es mein Pferd war. Damit würde ich aber nicht weit kommen, meinte der Mann dann. Das habe eine falsche Beschlagung. Die Bauern würden nur im Laufe von Jahren die Eisen wechseln. Als die drauf gekommen seien, die der Belgier hatte, seien die Hufe weiter gewachsen, das Eisen aber nicht. Dadurch seien Spannungen hineingekommen, deshalb würde der Gaul nicht weit kommen, er müsse bald lahmen. Ich bin dann zu einem Schmied gegangen, der hatte aber keine Nägel. Die er hatte, die waren rationiert. Dann sagte jemand, ein paar Dörfer weiter, da sei gestern ein Schmied gekommen, der sei wohl vor den Soldaten abgehauen. Ich mit dem Pferd dorthin. Die alte Mutter des Schmiedes sagte, ihr Sohn sei Bekannte besuchen, zudem führe er schon seit 1943 die Schmiede nicht mehr. Am Abend traf ich den Schmied. Der hatte schon von meiner Lage gehört. ‚Ich helfe Ihnen‘, sagte er, ‚denn mir haben auch viele Menschen geholfen, als ich zu Fuß auf dem Weg hier zum Dorf war.‘ Er hatte noch mehrere Kästen mit Nägeln in seiner alten Schmiede. Weil er beim Militär war und zwei Jahre in seinem Laden nichts mehr gelaufen war, hatte der noch Vorräte. ‚Jetzt läuft der Gaul wie auf Pantoffeln‘, sagte er, nachdem er dem Belgier neue Eisen unter die Hufe geschlagen hatte. So ging es dann weiter in Richtung Rheinland. Am Rhein-Herne-Kanal brach das Pferd an einer Böschung zusammen. Wir mußten über eine schwankende Behelfsbrücke. Als er auf der anderen Seite die Kanalböschung hoch sollte, sackte er weg. Englische Soldaten mußten in die Wagenspeichen greifen, damit wir nach Duisburg weiterkonnten.

Dann war ich wieder auf der Emmericher Straße in Meiderich: Heimat, deine Sterne. Den Gaul wollte ich zunächst noch ein wenig für den Wiederaufbau hierbehalten, den während meiner Abwesenheit war auch so manches am Haus verschwunden, aber ich wußte nicht, wo ich den Zossen unterbringen sollte. Ich war ja von Jugend an an Pferde gewöhnt. Als Brötchenjunge hatte ich schon Umgang mit Pferden, später habe ich oft in Fuhrgeschäften ausgeholfen. Kindersärge habe ich genauso gefahren wie Lebensmittel. Trotz dieser Erfahrung mit Gäulen konnte ich den blinden Belgier nicht behalten, mein Haus war zu klein. Ich hätte auch Futter besorgen müssen, es ging alles irgendwie nicht. Und hier auf dem Schlachthof gegenüber war einer, der schlachtete Pferde. Dem habe ich für wenig Geld den Gaul gegeben, aber nur unter der Bedingung, daß ich zehn Pfund Fleisch aus dem Batzen hinten bekam, damit ich mich mal wieder richtig sattessen konnte. Das hat er dann auch getan, so kam der Gaul weg. So ist das im Leben.”

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